Kedos

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Laut Überlieferung soll Ikandu einst die Sterne vom Himmel gepflückt und in den Boden gesät haben, um die ersten Dowanhowee zu erschaffen. Sie waren wie Kinder für ihn, und er wollte, dass sie im Einklang mit der Natur lebten und die Liebe in die Welt trugen. Aber die Dowanhowee hatten keine Ahnung, was Liebe überhaupt ist. Es war ein leeres Wort für sie, und so waren diese Menschen verwirrt und nicht in der Lage, Ikandus Wunsch zu erfüllen. Viele waren so konfus, dass sie sich sogar das Leben nahmen, weil sie keinen Sinn in ihrer Existenz fanden. Ikandu war es unbegreiflich. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte, und so zog sich der Gott auf den höchsten Berg zurück, um darüber nachzudenken. Eines Tages kam schließlich ein junger Mann aus dem Volk zu ihm. Der Aufstieg hatte ihn ein ganzes Jahr gekostet, und er hätte es fast nicht bis zum Gipfel geschafft, doch die immense Leidenschaft für seine Familie hatte ihn am Leben gehalten. »Hilf uns«, bat er Ikandu. »Führe uns, denn wir wissen nicht mehr, wohin wir gehören.« »Ich habe euch bereits die Liebe geschenkt, aber ihr tretet dieses Geschenk mit Füßen«, erwiderte Ikandu. »Wir wissen nicht, was Liebe ist! Was sollen wir damit anfangen? Erkläre es mir!« Ikandu hörte sich die Worte an und bat um Zeit. Er musste erst in Ruhe darüber nachdenken. So saßen beide hoch oben auf dem Berg, und viele Jahre gingen ins Land. Aus dem Jungen wurde ein Mann, aus dem Mann ein Greis. In den ganzen Jahren auf dem Berg hatte er still neben Ikandu verharrt. Er hatte gesehen, wie der Tag die Nacht ablöste, wie der Regen von der Sonne vertrieben wurde, wie auf Sommer der Winter folgte und wie die Dunkelheit durch das Licht erhellt wurde. Schließlich erhob sich der Greis und dankte Ikandu. »Ich habe es begriffen. Ich weiß nun, wie ich den Menschen die Liebe erklären kann.« »So geh und verbreite dieses Wissen in ihren Herzen.« Der Mann kehrte Ikandu den Rücken, streckte seine Arme aus und sprang vom Berg. Bevor er fallen konnte, wuchsen ihm zwei gigantische Flügel, die ihn sicher zurück auf die Erde brachten. In dem Moment, als er den Boden berührte, fiel die Schale des Alters von ihm ab und entblätterte einen kraftvollen jungen Mann. Er war so schön, dass es schmerzte, ihn anzusehen. Seine Flügel waren aus purem Gold, sein Antlitz von solcher Perfektion, wie es nur ein Gott erschaffen konnte. Schon bald wurden die Menschen auf ihn aufmerksam und scharten sich um ihn. Sie strömten in Massen heran, nur um seine Anmut zu bewundern. Der Mann wartete geduldig, bis sich Tausende um ihn versammelt hatten. Er sprach zu niemandem, stand nur da, die Flügel weit ausgebreitet. Schließlich löste sich ein Mädchen aus den Reihen. Sie war ebenfalls aus den Stamm, ein Naturkind durch und durch. »Was bist du?«, fragte sie ihn und zupfte an seinem Flügel. Er drehte sich zu ihr herum, nahm ihr Kinn zwischen seine Finger und lächelte sie gütig an. »Ich bin der Hass.« Das Mädchen zog die Augenbrauen zusammen, denn sie verstand diesen Begriff nicht. Es gab kein »Hass« in ihrem Wortschatz. Der Mann erhob seine Stimme an alle, die erwartungsvoll zu ihm sahen. »Ihr dürft mich Kedos nennen. Ich werde euch zeigen, was Liebe ist. Kommt näher und lauscht meinen Worten.« Ein Raunen breitete sich in der Menge aus, und die Menschen rückten neugierig heran. Kedos öffnete seine Schwingen noch weiter und legte den Kopf in den Nacken. »Ich bin bereit, heiliger Ikandu. Ich bin bereit. Meine Seele für das Wohl der Menschen. Meine Seele für den Hass. Den Gegenpol der Liebe.«  Ein Blitz fuhr durch Kedos’ Körper. Die Menschen schrien, doch er nahm die Energie in sich auf und verbrannte innerlich. Seine goldenen Flügel färbten sich pechschwarz, er entzog der Umgebung die Wärme, das Licht, und er brachte die Kälte in die Herzen der Menschen. Er brachte das Böse – denn ohne das eine war das andere nicht existent. In dem Moment begriffen die Menschen schließlich, was Liebe war. Sie war das höchste aller Gefühle, sie war das Gute. Endlich erkannten es die Dowanhowee. Das Wort war nicht länger nur eine leere Hülse. Kedos breitete seine Arme aus, riss die ersten Opfer an sich und durchbohrte ihre Herzen mit seinen Flügeln. Er vergoss ihr Blut auf dem Boden, der noch nie zuvor Blut empfangen hatte. Er vergoss die Liebe, er vergoss den Hass, der von nun an ebenso in den Seelen der Menschen wohnte. Viele rannten in Panik davon, doch die meisten erwischte Kedos. Er zerrte ihnen die Eingeweide heraus und zertrampelte ihre Knochen, bis nur noch Krumen übrig waren. Die, die das Massaker überlebten, mussten sich Kedos anschließen und den Hass unter den Menschen verbreiten. Sie konnten nicht mehr aufhören – selbst, wenn sie es gewollt hätten.